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Abschluss der Ermittlungen wegen der Explosion einer Chemiefabrik in Ritterhude

Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Verden 02/18 vom 20.02.2018


Nach mehr als drei Jahren polizeilicher und staatsanwaltlicher Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft Verden jetzt die Ermittlungen wegen des Betriebes und der Explosion einer Chemiefabrik in Ritterhude in den wesentlichen Kernpunkten eingestellt.

I.

Am 09. September 2014 war es auf dem Betriebsgelände der Organo Fluid GmbH in Ritterhude zu mehreren Explosionen gekommen. Der dadurch verursachte Großbrand hatte die auf dem Betriebsgelände errichteten Gebäude und Anlagen fast vollständig zerstört. Ein Mitarbeiter des Unternehmens wurde so erheblich verletzt, dass er später verstarb. Durch umherfliegende Trümmerteile waren auch umliegende Wohnhäuser zum Teil stark beschädigt worden. Ein Großteil der Geschäftsunterlagen des Unternehmens wurde vernichtet.

Beamte der Polizeiinspektion Verden, des Landeskriminalamts Niedersachen und der Staatsanwaltschaft Verden hatten umgehend die Ermittlungen aufgenommen.

Im Vordergrund der nach dem Tod des Mitarbeiters wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung geführten Ermittlungen standen die Brandursachenermittlung und Feststellungen zu möglichen Sorgfaltspflichtverletzungen der Verantwortlichen des Unternehmens. Frühzeitig erteilte die Staatsanwaltschaft deshalb einen Auftrag zur Erforschung der Unglücksursache an das Institut für Schadenverhütung und Schadenforschung der öffentlichen Versicherer.

Die Ermittlungen richteten sich zunächst gegen den Gesellschafter-Geschäftsführer der GmbH und gegen den technischen Betriebsleiter. Im Dezember 2014 wurden sie auf die seinerzeitige Sachbearbeiterin des staatlichen Gewerbeaufsichtsamtes Cuxhaven und im Oktober 2015 auf den weiteren Geschäftsführer der GmbH erweitert. Geprüft wurde der Verdacht, dass einerseits der Betrieb nicht entsprechend der verwaltungsrechtlichen Vorgaben organisiert und geführt und dass andererseits durch die Mitarbeiterin des staatlichen Gewerbeaufsichtsamtes die vorgeschriebene Aufsicht nicht in dem erforderlichen Umfang ausgeübt worden war. Die Ermittlungen wurden in der Folge auf den Vorwurf des unerlaubten Umgangs mit Abfällen und des unerlaubten Betreibens von Anlagen erweitert.

Im Zuge der Ermittlungen wurden bei Durchsuchungen an verschiedenen Orten umfangreiche Geschäfts- und sonstige Unterlagen sichergestellt, die insgesamt 35 Umzugskartons füllen.

Nachdem das Gutachten zur Brandursache im September 2015 und der Abschlussbericht des Landeskriminalamts im Februar 2016 vorlagen, waren die jeweiligen Ausbaustufen der Anlage und deren Betrieb mit den jeweiligen Genehmigungslagen abzugleichen. Dies war erforderlich, da eine Umweltstraftat nach §§ 326 und 327 StGB nur vorliegen kann, wenn das jeweilige Handeln oder Unterlassen nicht durch eine behördliche Genehmigung gedeckt ist. Wegen der Komplexität der schadensbetroffenen Anlage und der historisch laufend veränderten Gesetzeslage beauftragte die Staatsanwaltschaft deshalb im Februar 2016 ein Sachverständigenbüro für Explosionsschutz und Anlagensicherheit mit einem Gutachten zur Genehmigungslage, zu der Realisierung und Errichtung der schadensbetroffenen Anlage sowie zu deren tatsächlichem Betrieb. Die diesbezüglichen Feststellungen gestalteten sich aufgrund des hohen Zerstörungsgrades der Anlage selbst sowie des Fehlens von relevanten Unterlagen, die durch das Feuer vernichtet worden waren, äußerst schwierig und langwierig. Die endgültige Fassung dieses Gutachtens lag der Staatsanwaltschaft im August 2017 vor.

Ein weiteres Kurzgutachten, das wegen einer von der CDU-Fraktion im Niedersächsischen Landtag übermittelten Stellungnahme eines Sachverständigen zur Anwendbarkeit der Störfallverordnung und der sog. Seveso-Richtlinie auf den Betrieb der Chemiefabrik erforderlich geworden war, stand dann Anfang Dezember 2017 zur Verfügung.

Im Laufe der Ermittlungen wurden unter anderem insgesamt rund 60 Zeugen und Beschuldigte vernommen.

Die Ermittlungsakten umfassen mehr als 130 Bände.

II.

Die abschließende Prüfung der Ermittlungsergebnisse durch die Staatsanwaltschaft führte nicht zu einer Bestätigung des Tatverdachts gegen die Beschuldigten. Im Falle einer Anklageerhebung wäre nicht mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit mit einer Verurteilung der Beschuldigten zu rechnen.

Eine fahrlässige Tötung des verstorbenen Mitarbeiters oder eine fahrlässige Körperverletzung weiterer Personen an der Unglückstelle sind nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit zu beweisen. Die Ursache der Explosion konnte trotz der umfangreichen und unter Hinzuziehung verschiedener Sachverständiger geführten Ermittlungen nicht hinreichend sicher festgestellt werden. Die Sachverständigen sind vielmehr zu dem Ergebnis gekommen, dass unter anderem auch ein technischer Defekt als Ursache nicht ausgeschlossen werden kann.

Ein unerlaubter Umgang mit Abfällen nach § 326 StGB ist den Beschuldigten ebenfalls nicht nachzuweisen. Es konnten durch die Ermittlungen keine Anhaltspunkte erlangt werden, die ein Verwerten, Behandeln oder Lagern von Abfällen außerhalb der erteilten Genehmigungen hinreichend sicher belegen würden.

Auch ein für eine Anklageerhebung hinreichender Tatverdacht in Bezug auf das unerlaubte Betreiben von Anlagen nach § 327 StGB kann nach Abschluss der Ermittlungen auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse nicht festgestellt werden. Aufgrund des hohen Zerstörungsgrades war der tatsächliche Anlagenaufbau größtenteils nicht mehr erkennbar. Durch Rekonstruktionsversuche mittels der Geschäftsunterlagen, die brandbedingt nur spärlich vorhanden waren, und durch Zeugenvernehmungen war eine sichere Zuordnung einzelner Anlagenbestandteile nicht mehr möglich. Damit waren hinreichend valide Nachweise für einen Betrieb ohne oder außerhalb der Grenzen einer behördlichen Genehmigung nicht zu erlangen.

Erschwerend kam für die Überprüfung hinzu, dass Genehmigungsbescheide teilweise nicht so präzise formuliert worden waren, um Abweichungen des Betriebs und der Anlage von der Genehmigung feststellen zu können.

Die Rechtmäßigkeit der Bescheide aus verwaltungsrechtlicher Sicht war durch die Staatsanwaltschaft nicht zu überprüfen. Der Betreiber einer Anlage handelt auch dann nicht unbefugt im strafrechtlichen Sinne, wenn eine erteilte Genehmigung sich inhaltlich nachträglich als verwaltungsrechtlich rechtswidrig herausstellt.

Die Anlagenbetreiber durften sich auch auf die erteilten Genehmigungsbescheide berufen. Es haben sich keine für eine Anklageerhebung ausreichende Hinweise ergeben, dass die erteilten Genehmigungen durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkt oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichen wurden.

Anhaltspunkte für eine vorsätzliche Sachbeschädigung in Bezug auf umliegende Wohnhäuser, die von Bewohnern beschädigter Häuser angezeigt worden war, haben sich nicht ergeben. Eine fahrlässige Verursachung von Sachschäden ist nicht strafbar.

III.

Die Staatsanwaltschaft hat die Anzeigeerstatter mit individuellen Bescheiden über die Einstellung der Ermittlungen informiert.

Soweit sich bei Abschluss der Ermittlungen der Verdacht von Ordnungswidrigkeiten nach der Betriebssicherheitsverordnung oder der Bundesimmissionsschutzverordnung ergeben haben, werden die Ermittlungen an das dafür zuständige Gewerbeaufsichtsamt abgegeben.

Soweit sich im Rahmen der Ermittlungen Hinweise darauf ergeben haben, dass es außerhalb der Genehmigungserteilungen zu Vorteilszuwendungen in Form von Weihnachtspräsenten an Mitarbeiter verschiedener Behörden gekommen ist, dauern die Ermittlungen an.
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